Einleitung


Der Versuch einer Einführung in diesen eigenartigen Kosmos des RuhmFunks. Es wird nicht leicht, sich kurz zu fassen – so viel steht schon mal fest. Zu viele Inspirationen und ständig in Sorge, etwas auszulassen oder zu vergessen.
Versuchen möchte ich es trotzdem überlege jedoch ernsthaft, denjenigen, die sich die hier folgenden Bildschirmseiten komplett durchlesen, eine spezielle Auszeichnung zukommen zu lassen… (vielleicht auch nicht.)

Also, woher „das“ alles kommt und warum der RuhmFunk so viel mehr ist, als meine tiefe Verbeugung vor den Musikern der etwas anderen Art und ihren Werken, soll in diesem Text mal etwas genauer beleuchtet werden.
Damit es nicht zu trocken wird, streue ich zuweilen ein paar Hörbeispiele in Form diverser Playlisten ein und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird diese Seite im Laufe der Zeit noch ergänzt.

Christian Ruhm, Februar 2021

Frühmusikalische Prägungen

Die erste Langspielplatte – abgesehen von einigen verirrten Singles – habe ich mir Ende der 70er Jahre bei Radio Naumann in Berlin Tegel gekauft. Zusammen mit einem Stapel gebrauchter Groschenromane aus der benachbarten Markthalle (mit Sicherheit John Sinclair oder Jerry Cotton, was hier aber nicht unbedingt vertieft werden soll).
Anyway. Die besagte LP war Tubular Bells von Mike Oldfield. Das Eröffnungsthema – verwendet u.a. für den wegweisenden Horrorfilm Film Der Exorzist – übt auf mich nach wie vor eine magische Anziehung aus und gehört deshalb zu den wahrscheinlich meist gespielten (und mit jedem Wechsel eines Mediums auch gekauften) Platten/CDs/Downloads etc.
Wie Oldfield in den folgenden Jahren wohl diverse Male selbst feststellen musste, ein nicht ohne weiteres wiederholbares Meisterwerk, das einen, egal wo immer wieder es mal auftaucht, in seinen Bann zieht.


Parallel dazu prägten mich auch die damaligen Titelmelodien diverser Fernsehserien, wie „Das Geheimnis des siebten Weges“, „Timm Thaler“, „Raumpatrouille Orion“ oder „Der Doktor und das liebe Vieh“, sowie die  Hörspielmusiken der Drei ??? von Carsten Bohn (ausdrücklich NICHT die, nach einem Rechtsstreit neu eingespielten), die der Studio Braun Produktionen von „John Sinclair“ und den anderen diversen „Europa“ Produktionen.

Später kamen dann mit dem ersten Videotheks-Ausweis diverse Soundtracks dazu, vor allem Ennio Morricone, John Carpenter oder Lalo Schifrin aber auch von italienische Gialli oder französischen Krimis.

Kopfkino und Elektronik

Genau das war es, was für mich Musik ausmacht: der Soundtrack für die Filme im Kopf, die Ideen/Wünsche und Phantasien. Stets verfügbare Untermalung zum „aus dem Fenster eines Zuges schauen“ oder wahlweise aus dem hinteren Autofenster auf der Fahrt in den Sommerurlaub an der Italienischen Adria mit den klobigen Kopfhörern in den Sony-Walkman gestöpselt. Musik als Transportmedium für den kurzen oder oft auch längeren Tagtraum.
Filmmusik der Ära Kindsein und des Heranwachsens.

Mit der Pubertät kam dann natürlich der Rock, gefolgt von Punk und New Wave und schließlich konnte es häufig nicht wild genug sein aber nebenbei war immer die Faszination für instrumentale Musik und neben den ganzen LPs, die man „als un/angepasster Halbstarker halt einfach im Regal haben mußte“, kamen immer wieder welche von Elektronik-Pionieren wie z.B. Kraftwerk, Jean-Michel Jarre, Tomita aber auch Fusion-Jazz u.a. von Passport und Weather Report oder Kraut– oder Prog-Rock à la CAN dazu – die Filmmusik des CAN-Mitgründers Irmin Schmidt ist (übrigens auch bestens als Soundtrack zum Kochen zu empfehlen und zugleich) eine massive Inspiration für die ersten Platten des RuhmFunk-Labels.
Etwa in dieser Zeit entdeckte ich durch die Berlin-Trilogie auch David Bowie für mich.

Die düsteren 80er Jahre und die MODerne

Ausgerechnet auf einer langen Busfahrt in ein Skigebiet Norditaliens lernte ich Anfang der 80er zwei Bands kennen, deren Musik mir -zumindest damals – gehörig Angst machte. Das erste Album von Bauhaus, sowie die ersten drei Sonic Youth Alben ließen unsere Walkmen heißlaufen. Ein Schulkamerad hatte sie aus dem Plattenschrank seines Vaters von Platte auf Kompaktkassette aufgenommen und dabei gleich die düsteren Cover fotokopiert, deren schlechte Qualität den Bildern im Kopf eine weitere, noch düsterere Komponente beimengten.

Wenig später kamen dann die Einstürzenden Neubauten hinzu, deren Halber Mensch LP ebenfalls auf „heavy rotation“ lief.
Die Neue Deutsche Welle förderte an ihren dunkleren Rändern auch sehr interessante Bands, wie z.B. Grauzone, DAF oder die etwas unbekannteren aber nicht minder großartigen Palais Schaumburg auf meinen Plattenteller. Die häufigen Besuche im Charlottenburger „Treu“ (Linientreu) oder später dem Neuköllner „RockIt“ sorgten zudem immer für ausgefallenen „Nachschub“ und Neuentdeckungen.

Ein weiterer sehr wichtiger Einfluss in den Jahren zuvor war die Mod-Bewegung, genauer gesagt, das Mod-Revival und somit die Musik der 60er Jahre. Hier entwickelte sich auch mein Faible für die Pop– und Op-Art, Design und nicht zuletzt – ja, natürlich auch „Blow Up“ sei dank – der unbändige Wunsch, Fotograf werden zu wollen. Der Rest ist Geschichte … jedoch eine andere.
In diesem Dunstkreis entdeckte ich dann auch die wunderbaren Welten von Ska, Soul, Funk und später Acid Jazz & Co. oder Britpop – insbesondere Blur und natürlich die genialen Radiohead, bei denen es eine besondere Freude ist, zu beobachten, wie sie sich immer weiterentwickeln.
Als der Modfather Paul Weller, einer meiner damaligen heroes, jüngst ein sehr experimentelles, ja, fast „hauntologisches“ Album bei GhostBox veröffentlicht hat, schließt auch diesen Kreis irgendwie.

David Sylvians Solo-Werke schafften es dann Ende der 80er meine Ohren für eine „erwachsenere Musik“ zu öffnen. Jazz , teilweise auch Klassik, später dann Avantgarde, wie Morton Feldman oder John Cage aber auch aktuelle experimentelle Musik, wie die von Christian Fennesz oder Apparat und vielen anderen rundeten meinen bereits recht breit gefächerten Musikgeschmack schließlich ab.

Soweit zu den Wurzeln. Weiter zu den Geistern.

Durch die Möglichkeit des Streamings entdeckte ich im Laufe der letzten Jahre viele Perlen wieder, füllte mit ihnen unzählige Playlisten und stieß dabei auf ein musikalisches Genre – vielleicht ist es eher eine Bewegung, obwohl mir dieser Begriff nicht recht gefallen mag – die sich „Hauntology“ nennt. Was auf „-ology“ endet muß ja nicht zwangsläufig in die Fänge einer Sekte führen, meine Damen und Herren!
Eine recht treffende Abhandlung über die Ideen und Gefühle dahinter findet sich auf der Website „The Haunted Generation“ von Bob Fischer – in diesem Falle aus der britischen Perspektive.
Interessante Artikel zu diesem, übrigens nicht nur musikalischen Phänomen sind unter anderem auch in der NZZ und der ZEIT veröffentlicht worden.

Dem interessierten Leser sei auch das Studium des – ebenfalls viel zu früh gegangenen- Bloggers und Schriftstellers Mark Fisher namens „Ghosts of My Life – Writings on Depression, Hauntology and lost Futures“ empfohlen.

Es ist spannend zu sehen, dass viele „ähnlich fühlende“ Künstler und Kreative ihre Kindheit in den Siebzigern scheinbar genau so empfunden haben und durch eben diese ganz ähnlich geprägt wurden. 

Viele scheitern an der genaueren Definition von „Hauntology“. Auch ich kann dieses Gefühl, dass sich beim Hören bestimmter Musik oder Klänge, manchmal auch nur einzelner Instrumente, einstellt sehr schwer beschreiben. Am ehesten ist es sicher mit der vielleicht recht bekannten Situation zu vergleichen, wenn ein bestimmter Geruch (wie von z.B. frisch gebackenem Kuchen) ein plötzlich in eine andere Zeit und Welt katapultiert (wie z.B. der gemütliche Nachmittagskaffe bei der Großmutter).
Letztendlich sind es in „unserem“ Fall also Musik und Klänge, die sehr stark dutzende Erinnerungen an eine Kindheit in den 70ern wecken.

Aktuelle Geister rufen diejenigen, die ich einfach nicht mehr los werde

Natürlich dürfte es nun kein großes Geheimnis mehr sein, dass ich auch Fan von Boards Of Canada und dem britischen Label Ghost Box Records  bin.

Für die poppigere, akustische Vergangenheitsbewältigung bieten sich auch dringend die wundervollen Bands Stereolab oder Broadcast an – hier wird dann auch gesungen. In Stereolabs Fall mit der großartigen Stimme Laetitia Sadiers.

Auch die ungemein unheimliche Musik des leider viel zu früh verstorbenen Marcus Fjellström oder die fast schon clubtauglichen Werke von Demdike Stare transportieren mich immer wieder zurück in eine Kindheit, in der hinter jeder Mauer ein zutiefst furchterregendes Abenteuer und hinter jedem Geräusch vor dem Haus etwas Unheimliches lauert. In Gedanken fahre ich dann oft wieder mit dem Fahrrad nach einem Kinobesuch durch die Dämmerung und hoffe nicht von der Nacht und der Horde reitender Leichen aus dem Kino eingeholt zu werden.

Es gibt noch so viel weitere, großartige Mitreisende, die es gilt, zu nennen. Leyland Kirby etwa, der mit seinen teils epischen Werken Welten erlebbar macht, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man sie wirklich erfahren möchte, wie eine Demenzerkrankung in dem knapp sechseinhalbstündigen Epos „Everywhere at the end of Time“ zum Beispiel oder unter dem Pseudonym „The Stranger“ mit dem großartigen „Watching Dead Empires In Decay“ – allesamt übrigens über die großartige Bandcamp-Plattform zu erwerben.
Weitere der düsteren Mitstreiter, wie zum Beispiel die aus der Sparte Doom-Jazz stammenden, fantastischen Bohren und der Club of Gore finden sich in der Playlist.

Geister und ihre Geschichten

Das bringt uns zum zweiten, nicht minder wichtigen Teil des RuhmFunks: das gesprochene Wort. 
Als großer Hörspiel-Fan seit meiner Kindheit hatte ich mich ein Stück weiter oben indirekt bereits geoutet und auch, wenn ich unbedingt der Meinung bin, dass Musik allein Geschichten erzählen und entstehen lassen kann, so ist es zuweilen doch von Vorteil, den Hörer zuweilen an der Hand zu packen und somit intensiver einen bestimmten Weg einschlagen zu lassen, von dem er nicht so ohne weiteres abbiegen soll. Dennoch sollten die Geschichten nicht vollständig erzählt und  gerade zum Ende hin diverse Türen angeboten werden. Welche der Hörer dann nimmt, sei ihm überlassen. Er wird in jedem Fall etwas entdecken – im besten Fall über sich selbst.